Die Wut von Funktionären in weißen Kitteln – oder: Was die "BamS" nicht geschrieben hat
Dienstag, 18. September 2012
"Die Wut der weißen Kittel" - so titelte die "Bild am Sonntag" (BamS) in ihrer Ausgabe vom 2. September eine fast dreiseitige Geschichte über den Protest von Vertragsärzten. "Hier sagen Mediziner, warum sie ihre Patienten im Stich lassen würden", heißt es im Vorspann.
Den Hintergrund dazu schildert "BamS"-Redakteur Alexander Rackow. Er schreibt also von der entscheidenden Sitzung des Erweiterten Bewertungsausschusses, in der das Gremium mit der Stimmen des unparteiischen Vorsitzenden und - selbstverständlich - gegen die Stimmen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung beschlossen hat, den für den Preis der ärztlichen Leistungen entscheidenden Orientierungswert um 0,9 Prozent anzuheben.
Nein, so schreibt es Rackow natürlich nicht. Er macht es einfacher: Es sei um die Erhöhung der Honorare gegangen. Die Ärzte hätten elf Prozent oder 3,5 Milliarden Euro mehr im Jahr gefordert, die Krankenkassen in Gestalt des GKV-Spitzenverbandes dagegen hätten den Ärzten sogar sieben Prozent streichen wollen. So steht es herausgehoben im Text. Also keine Rede von einem Orientierungswert, von Preisverhandlungen und davon, dass über die Leistungsmenge wie in den Vorjahren ohnehin noch verhandelt wird.
Dafür lässt die "BamS" einige Ärzte aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands ausführlich zu Wort kommen. Und obwohl die Honorarverhandlungen zwischen Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen auf deren Wunsch hin inzwischen wieder regional erfolgen, ist der Tenor der zitierten und mit Fotos abgebildeten Mediziner bundesweit einheitlich: Die Kassen gängeln; sie lassen mit immer mehr Bürokratie immer weniger Zeit für den Patienten, und die Ärzte machen viele Untersuchungen umsonst. Die "BamS" gibt den Ärzten viel Raum, um zu begründen, warum sie in den darauffolgenden Tagen ihre Patienten nicht behandeln wollen. Denn streiken geht als Freiberufler ja nicht.
Was die "BamS" ihren Lesern nicht mitteilt, ist, dass die meisten der genannten Vertragsärzte neben ihrem Beruf auf Verbandsebene und in Gremien tätig, also Profis im Politikbetrieb sind. Deshalb holen wir nach, was die "BamS" versäumt hat:
Dr. Andreas Hellmann aus Augsburg ist Lungenarzt und unter anderem
- Mitglied in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB)
- Fraktionssprecher der Facharztfraktion der Vertreterversammlung der KVB
- Mitglied des Unterausschusses Qualitätssicherung des gemeinsamen Bundesausschusses Ärzte und Krankenkassen
- Mitglied des gemeinsamen Ausschusses Qualitätssicherung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und des Spitzenverbandes der Krankenkassen
- Mitglied des Landesausschusses Ärzte und Krankenkassen Bayern
- Zertifizierter QEP(Qualität und Entwicklung in Praxen)-Trainer
- Ehrenvorsitzender des Berufsverbandes der Pneumologen in Bayern
- Vorsitzender des Bundesverbandes der Pneumologen in Deutschland (BDP)
- Vorstand der PneumoMed eG., Genossenschaft für Pneumologen, Heidenheim
- Stellvertretender Vorsitzender der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände Bayern
- Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie
- Mitglied der AG pneumologische Onkologie der deutschen Krebsgesellschaft
- Träger des alternativen Umweltschutzpreises des Bund Naturschutz
Er klagt: "Es bleibt immer weniger Zeit für die Patienten. So macht der Beruf kaum noch Freude."
Dr. Felizitas Leitner ist Allgemeinmedizinerin in Weßling und außerdem stellvertretende Vorsitzende der Landesgruppe Bayern des NAV-Virchow-Bundes, Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands. "Als Landärztin bin ich viel unterwegs. Ich mache zehn Hausbesuche in der Woche, und der Sprit wird auch nicht billiger", so Leitner in der "BamS".
Dr. Christa Roth-Sackenheim, Psychiaterin aus Andernach, ist Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Psychiater (BVDP). Sie betreibt eine Gemeinschaftspraxis mit ihrem Ehemann Dr. Klaus Sackenheim, Mitglied des Vorstands der KV Rheinland-Pfalz, und einem dritten Kollegen. Es komme vor, "dass ich völlig umsonst arbeite, wenn das Budget aufgebraucht ist".
Dr. Christian Albring, Gynäkologe in Hannover, ist Erster Vorsitzender und Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF), Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Mitglied in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Er hat seine Praxis in einem strukturschwachen Gebiet, hier könne man "keine wohlhabenden Privatpatienten behandeln, die mehr Geld in der Praxis lassen".
Dr. Dirk Heinrich ist HNO-Arzt in Hamburg, Präsident des Deutschen Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und Bundesvorsitzender des NAV-Virchowbundes, also von einem der Verbände, die zum Protest aufgerufen haben. Er könne "die Einnahmen nicht beeinflussen, denn die werden von den Kassen festgelegt", behauptet Heinrich, obwohl er es schon aufgrund seiner Verbandstätigkeit besser wissen wird.
Nicht besser wusste es hingegen "BamS"-Kolumnist Peter Hahne. Das ließ er ausführlich seiner Kolumne "Die Wut der Ärzte ist gerechtfertigt. Unsere Vorurteile sind es nicht" erkennen.
Geschrieben von Bernhard Hoffmann in Aufgespießt um 08:45 | Kommentare (0) | Trackbacks (0)
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