Jacobs: "Debatte um Praxisgebühr geht an Versorgungswirklichkeit vorbei"
Mittwoch, 18. April 2012
Zankapfel Praxisgebühr: Die FDP will sie wahlkampfwirksam abschaffen, CDU und CSU halten an ihr fest. Und die Deutsche Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (DGGÖ) fordert gar eine Gebühr von fünf Euro für jeden Arztbesuch. Prof. Klaus Jacobs, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts (WIdO) und selbst Mitglied der DGGÖ, ärgert sich über die "völlig fehlgeleitete Diskussion". "Der Praxisgebühr wird eine viel zu hohe Bedeutung zugewiesen, die sie weder hat noch überhaupt haben kann", sagt Jacobs im Interview mit dem AOK-Medienservice (ams).
Die Forderung nach einer Praxisgebühr auf alle Arztbesuche sei keine einhellige Position der mehr als 600 DGGÖ-Mitglieder, sondern werde vom engeren Vorstand der Gesellschaft vertreten, so Jacobs in der April-Ausgabe des ams-Politik. Er persönlich hält von dem Vorschlag nichts und bezweifelt die von der DGGÖ unterstellte Steuerungswirkung.
Vor allem sei die Annahme falsch, dass sich die Inanspruchnahme ärztliche Leistungen allein über eine direkte Kostenbeteiligung sinnvoll steuern lasse: "Die Gesundheitsökonomen wissen seit langem, dass es bei Kostenbeteiligungen zwei Möglichkeiten gibt: eine sozial verträgliche und damit niedrige Eigenbeteiligung, die keinen Steuerungseffekt hat. Oder eine hohe, nicht sozial verträgliche Eigenbeteiligung, mit der wirtschaftlich schwächere Patienten auch von notwendigen Arztbesuchen abgehalten werden - mit negativen gesundheitlichen und letztlich auch finanziellen Konsequenzen." In jedem Fall setze die Kostenbeteiligung beim Patienten an, obwohl das Leistungs- und Ausgabengeschehen weit überwiegend außerhalb des Beurteilungsvermögens und des Einflussbereichs der Patienten liege.
Wer in der Praxisgebühr das entscheidende Instrument dafür sehe, die medizinische Versorgung in Deutschland zu steuern und so etwa die Zahl der Arztkontakte zu senken, lasse die Praxis der Gesundheitsversorgung völlig außer Acht. Jacobs: "Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen zum Großteil gar nicht von der Praxisgebühr abhängen kann: So entfallen auf zehn Prozent der AOK-Versicherten rund 92 Prozent der Krankenhausausgaben, 68 Prozent der Arzneimittelausgaben und 44 Prozent der ambulanten Ausgaben. Diese zehn Prozent sind also 'richtig krank'. Deshalb ist es viel wichtiger zu schauen, wie wir die medizinische Versorgung für diese Kranken gestalten und unnötige Leistungen vermeiden, als über eine Praxisgebühr für die anderen 90 Prozent der Versicherten zu streiten."
Geschrieben von Bernhard Hoffmann in Debatte um 19:12 | Kommentare (0) | Trackbacks (0)
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